Wildfleisch aus den Wäldern der Hörnerdörfer
©Tourismus Hörnerdörfer, F. Kjer
Die Wildschmiede.

In der Ruhe liegt die Kraft.

Allgäuer Wildschmiede

Hans Sistig hat einen festen Händedruck und ein großes Lächeln. Hans packt die Dinge an und nimmt sie mit Humor. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen, wenn man als Bauhofleiter der erste Ansprechpartner ist für alles, das gerichtet und gesichert werden muss.

Und Hans nimmt die Dinge gerne selbst in die Hand. Deshalb steht heute ein schmuckes holzverkleidetes Haus da, wo früher auf dem Elternhof nur ein kleiner Stadel stand, die Wildschmiede. Gegenüber vom Stadel befindet sich etwas erhöht ein etwa zwei mal ein Meter großer Stall, gefüllt mit Stroh und Birkenzweigen. Darin leben sechs Wachteln. „Die kuscheln sich immer da auf einem Fleck zusammen, dabei hätten sie ja Platz“ sagt Hans und kommt ins Räsonieren „verrückt, auf derselben Fläche leben in Haltungsform 1 etwa 22 Legehennen“. Über den Hof läuft ein weißes Huhn mit grau-schwarz gesprenkeltem Hals, schaut einmal links, einmal rechts und verschwindet hinter dem Schuppen.

In aller Ruhe lernen

Hans erzählt. Er wuchs als eines von sieben Kindern auf, fünf davon waren Jungs. Im Haus lebten neben den Eltern auch die Oma. Sein Vater war Metzger, da wurde auch mal daheim geschlachtet – schließlich mussten alle satt werden. Hans machte den Jagdschein und wollte seine Wildstücke schon immer gern selbst verarbeiten. Sein Vater und der Bruder, ebenfalls ein Metzger, sollten ihm deshalb die Techniken beibringen, aber die beiden gerieten immer wieder in wilde Diskussionen und stritten irgendwann leidenschaftlich im Fachjargon und hatten Hans vergessen. Letztlich war es ein kundiger Freund, der ihm die Handgriffe in aller Ruhe zeigte. Seither kann er es.

Zwei Männer, ein Wort

Die Idee zur Wildschmiede entstand eigentlich aus Jux und Dollerei, als Hans nach der Restaurierung den alten Schinkenkeller im Busche Berta Haus entdeckte. „Ich hab‘ zum Alois, also zum Bürgermeister gesagt, den reservierst' dann für mein Wild“, erinnert sich Hans. Zwei Männer, ein Wort – und so begann das Projekt. Mittlerweile wird dort an langen Stangen mit der Reifung von Wildschinken experimentiert, ganz nach der Art des berühmten Iberico-Schinkens. Und die erste Verkostung die stattfand, kam sehr gut an.
Bald wurde jedoch klar, dass der alte Stadel als Produktionsraum für die steigende Nachfrage nach Wildschinken nicht mehr ausreichte. Neue Pläne wurden geschmiedet, und schließlich entstand ein neues Gebäude. Das Holz dafür hat Hans selbst geschlagen oder „am Stock“, als ganze Stämme, gekauft. Es waren ein paar Lärchen darunter, die hat er für die Fassade verwendet. Die leuchten jetzt rau und rot und dürfen in Ruhe altern und silbergraue Patina ansetzen.
 

Keine Arbeit ohne Spaß

Anfangs verzichtete Hans bewusst auf Werbung, um erst einmal die Qualität seiner Produkte zu etablieren. „Ich wollte nicht den Druck haben, so viel produzieren zu müssen, dass die Sachen nicht mehr die nötige Zeit bekommen“, erklärt er. „Wenn man ständig an der Kapazitätsgrenze arbeitet, macht es auch keinen Spaß mehr.“ Dabei lehnt sich Hans entspannt zurück. Er hat eine solide Holzbank vor die Wildschmiede gestellt. Die steht genau richtig, um darauf in der Nachmittagssonne ein paar Minuten Pause einzulegen.
Wenn Hans dort sitzt, die Füße in Kuhfell-Clogs der Größe 46 weit von sich gestreckt, das Käppi halb in die Stirn gezogen, und vom Wald und vom Wild erzählt und warum er als gelernter Autoschlosser und Mechaniker, als Hobbyschmied und Bauhofleiter, als Jäger und als Wassermeister von Ofterschwang immer noch neugierig bleibt und überzeugt ist, dass es überall etwas zu lernen gibt – dann versteht man was „in der Ruhe liegt die Kraft“ wirklich bedeutet: eine zigarettenlänge Pause auf einer sonnigen Bank, in der man überlegt, welchem Herzensprojekt man sich als Nächstes widmen möchte.

Die Meisterschaft der nächsten Generation

Ein ganz großes Herzensprojekt ist die Wildschmiede. „Schmiede“ soll auf das Handwerk hinweisen, im Gegensatz zur Fabrik. Hans ist, wie gesagt, Jäger und Jagdleiter im Gemeinschaftsjagdrevier Ofterschwang. In der Truppe sind sie neun Männer und ein Mädel. Die junge Frau, gerade mal 17 Jahre alt, hat einen Jugendjagdschein – so etwas wie der Führerschein mit 17, der begleitetes Fahren erlaubt – und sie hat Talent, sagt Hans. Sagt er das, weil die talentierte Dame Antonia heißt und seine Tochter ist? Ein Nein kommt sofort mit Nachdruck: „Ich hab jetzt bestimmt 10.000 Schuss mehr auf’m Buckel, aber sie wird die Zeit an Erfahrung gar nicht brauchen, um eine bessere Schützin zu werden, als ich es bin.“

Just, als Hans das erzählt, kommt Toni – so wird sie gerufen – von der Arbeit heim. Sie absolviert eine Lehre als Metzgerin. Noch im weißen Arbeitsgewand schaut sie nach den Wachteln, bringt frisches Wasser, Futter, neues Reisig. Auf die Frage, wie das sei, so als einziges Mädel bei der Jagdgruppe und als junge Frau in einem noch immer sehr männerdominierten Beruf, erntet man einen ruhigen, etwas verwunderten, ein klein wenig spöttischen Blick und die Antwort: „Gut.“ Mit einem halben Grinsen setzt sie hinzu: „Es ist halt am Anfang viel Putzerei“, worauf Hans erklärt, Reinheit sei eines der wichtigsten Gebote in diesem Beruf. „Chaos darf sein, Dreck niemals!“ Antonia lächelt wissend, nachsichtig, und verabschiedet sich.
Hans hat ganz sicher nicht übertrieben mit den Schießkünsten seiner Tochter. Denn diese schöne, große Frau beherrscht trotz ihrer Jugend die Kunst mit der Ruhe und der Kraft schon meisterhaft.
 

Frisch geräucherte Landjäger in der Wildschmiede Ofterschwang
©Tourismus Hörnerdörfer, F. Kjer

Einfach mal abhängen

Warum wird Fleisch nicht direkt nach dem Schlachten verzehrt? Fleisch besteht größtenteils aus Wasser, Proteinen und Fett, die von Natur aus wenig Geschmack haben. Beim Abhängen und Reifen des Fleisches entstehen jedoch neue Stoffe, die den Geschmack intensivieren. Dabei werden Proteine und Fette in Milchsäuren, Fettsäuren und Salze umgewandelt, die zur Aromenbildung beitragen. Besonders bei der Trockenreifung entstehen freie Aminosäuren, die wichtige Aromen wie den „Buttergeschmack“ erzeugen, sowie natürliches Mononatriumglutamat, das beispielsweise beim Trocknen von Pilzen entsteht. Abhängen und Reifen bedeutet Zeit, und Zeit ist entscheidend, um Geschmack zu entfalten.

Wild. Ein regionales Produkt

Die Wildschmiede verkauft und verarbeitet Wildfleisch. Wild, das nicht von irgendwoher stammt, sondern aus einem Gebiet „einen Kugelschuss rundum“, wie es Hans augenzwinkernd auf den Punkt bringt. Die Wildschmiede nimmt Jägern verlässlich die Stücke ab, sofern sie aus der Gegend – dem Oberallgäu, namentlich Ofterschwang, Immenstadt, Gunzesried – stammen, in der Decke, also noch im Fell, sind und wenn sie nach jagdlichen Maßstäben gut geschossen sind. Das bedeutet, das Tier wurde schnell und stressfrei getötet und musste nicht leiden. Abnahme zum fairen Preis, das dient der Jägerschaft. Ein gutes Stück Wild kann zu vielen guten, regionalen Produkten veredelt werden, das dient den Verbraucherinnen und Verbrauchern, die Wert darauf legen, mit gutem Gewissen genießen zu dürfen.

Fieselarbeit, die sich lohnt

Damit alles nicht nur den Mindestanforderungen, sondern den eigenen höchsten Ansprüchen genügt, hat Hans einen Metzgermeister angestellt. Alois Rohrmoser bringt es auf fast fünf Dutzend Jahre Berufserfahrung. Er war nicht nur Prüfungsmeister und bringt geballtes Praxiswissen mit, er ist vor allem Meister der Rezepturen und er hat Freude an der Wildverarbeitung. „Wild ist nämlich eine echte Fieselarbeit“, erklärt Hans. Die Ergiebigkeit ist lange nicht so groß wie bei einem Rind oder einer Sau. Viele Handgriffe: aus der Decke schlagen – also das Fell abziehen –, zerwirken, auslösen und parieren. Nötig sind viele kleine, punktgenau gesetzte Schnitte, und am Ende hat man vielleicht acht Kilo Fleisch, um daraus Brat- und Schmorstücke oder Hack zu bereiten. Dennoch gehört Wild zu den günstigen Fleischsorten, denn die Jagd dient nicht nur dem Genuss, sie ist auch für die Landschaftspflege enorm wichtig.

Die Präferenzen bei der Frage Wald oder Wild können mitunter sehr unterschiedlich sein, und es ist gut, wenn alle Argumente auf den Tisch kommen. Aber für Hans zählt vor allem die Wechselwirkung. Momentan sei man sehr darauf bedacht, den Wald klimaresistent umzubauen, dadurch steht die Waldschonung im Fokus. Laubbäume und Weißtanne haben eine hohe Wasserspeicherfunktion, das ist gewünscht. Deshalb werden die Jungpflanzen mit Stickstoff gedüngt, um ihnen ein schnelles Hochkommen zu ermöglichen. Diese Düngung in den Nadeln wirkt auf das Wild jedoch „wie eine warme Leberkässemmel auf einen Menschen“, gibt Hans grinsend zu bedenken: einfach unwiderstehlich! Ein Dilemma, dem nur mit gezieltem Abschuss begegnet werden kann. Dafür müssen Jäger ihr Revier kennen, müssen viel Zeit und Engagement aufwenden, um es durchgängig zu beobachten.

Wilder Genuss

Nicht nur deshalb ist Wild aus heimischer Jagd eine völlig andere Hausnummer als Wildfleisch aus dem Supermarkt. Im Markt landet meist Fleisch aus Zuchtgehegen. Auf großen Flächen werden dort viele Tiere gehalten und mit ordentlich Zufütterung schlachtreif gemästet. Das Problem: Rotwild, beispielsweise Hirsch, ist mit dem Rind verwandt, beide sind Paarhufer. Wird ein Wild nun mit konventionellem Kraftfutter gemästet, solches, das auch in der Rindermast eingesetzt wird, wird das Wildfleisch dem Rindfleisch immer ähnlicher. Der spezifische Geschmack geht verloren, das geschätzte magere, zartfaserige Fleisch ist spätestens mit Gewürzen und Saucen nicht mehr erkennbar. Ganz anders als bei echtem „wildem“ Wild. „Die haben ihre Kräutlein gehabt“, sagt Hans und meint damit auch, dass die Rehe und Hirsche sich eines guten Lebens erfreuen durften. Geschossen wird nach strengem Reglement, keine Muttertiere, nicht während Schon- und Setzzeiten, nicht in der Nacht. Eine gute Jagd erlegt ein Stück schnell, ohne Stress und ohne das Rudel zu beängstigen. Geduld und Präzision sind gefragt. Oder anders: Um gut zu jagen, muss die Kraft aus der Ruhe kommen.
 

Den eigenen Standard erfüllen

Nach der Jagd ist vor der Arbeit. Jedes Stück hängt in der Wildschmiede ein bis zwei Tage ab, reift damit etwa drei Tage in der Decke und wird am fünften Tag ausgekleidet. Ist das Fell ab – das dauert etwa 50 Sekunden – folgt etwa fünf Minuten lang eine grobe Zerteilung. Anschließend wird gut 10 Minuten das Fleisch vom Knochen gelöst, außer man will es als ganzen Rücken oder Keule so belassen. Im letzten Schritt wird pariert, die Filets werden separiert, Sehnen, Silberhäutchen und Fett werden abgetrennt, die bratfertigen Stücke liegen rostrot und matt glänzend für den Verkauf bereit. Gut eine halbe Stunde braucht es pro Tier zum Vorbereiten, gut drei bis vier Tage lang braucht der vorbereitete Schinken oder die Wildsalami zum Räuchern. Bevor es soweit ist, hat Hans das Tier begutachtet, dann der Tierarzt, nach dem Auskleiden nochmal Hans, sein Metzgermeister Alois und nochmal der Tierarzt, die Helfer beim Zerwirken haben auch noch einen Kennerblick darauf geworfen. Kurz und gut: Vier Paar Augen und zweimal die Augen vom Tierarzt haben mindestens jedes einzelne Wild gesehen und für gut befunden, bevor es überhaupt in die Nähe des Fleischwolfs gelangt. Damit hat die Wildschmiede die EU-Vollzulassung und – was fast noch wichtiger ist – das Fleisch erfüllt die Kriterien, die Hans für seinen Laden aufstellt: „Ich verkaufe nichts, was ich nicht selber iss!“ lautet sein Credo.
 

Regional einkaufen in der "Allgäuer Wildschmiede"
Claudia Schmid auf dem Titeldbild des neuen Image-Magazins "G'schichten" der Hörnerdörfer
©Tourismus Hörnerdörfer, F. Kjer
Hörnerdörfer G'schichten nach Hause bestellen.

Hörnerdörfer Image-Magazine

Bestellen Sie sich die Prospekte / Image-MagazineHörnerdörfer G'schichten” zu Ihnen nach Hause. 

  • Im ersten Magazin “Handwerk” gibt es Einblick auf besondere Wanderziele, alte Traditionen, kunstreiches Handwerk und regionale Delikatessen.
  • Im zweiten Magazin “Genuss” drehen sich die Geschichten um Kulinarisches, um Regionales, um traditionsreiche Gastlichkeit und Naturverbundenheit – und im Grunde dreht sich alles um den Genuss.
zur Prospektbestellung
Das könnte Sie auch interessieren.

Weitere G'schichten zu Handwerk & Genuss