Die Heuhornochsen - Wie gutes Fleisch (fast) zum Kinderspiel wird
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Wie gutes Fleisch (fast) zum Kinderspiel wird.

Die Heuhornochsen

Das Allgäu ist bekannt für Milch und Käse. 

Dafür werden Kälbchen geboren. Doch nach Adam Riese und der einfachsten Stochastik, die die Natur nun mal betreibt, sind etwa ziemlich genau die Hälfte der geborenen Kälber männlich. Was tun? Wenn sie klein, süß und möglichst Original Braunvieh sind und außerdem noch Hörnle haben, kommen sie nach Sigishofen und werden von Dietmar Martin zu gestandenen Heuhornochsen aufgezogen.

2013 hat Dietmar den elterlichen Hof übernommen, eine Milchwirtschaft, die immer als Nebenerwerb lief. Für jemanden mit einem Vollzeitjob ist die Haltung von Milchvieh nicht gerade praktisch, aber die Zucht von Fleischrindern könnte funktionieren. So wurden es Ochsen, die im Alter von etwa drei Monaten nach Sigishofen kommen. Sie sind dann entwöhnt, oder „abgetränkt“, wie man sagt, und werden auch „Freasser“ genannt, weil sie schon Gras und Heu fressen. Was anderes bekommen sie auch nicht. Die Jüngsten kriegen anfangs noch ein paar Handvoll „Kälbermüsli“ extra, alle anderen:
Also, bitte! Schaut hinaus, die Wiese blüht, der Tisch ist überreich gedeckt. Aber wie es halt so ist: Erziehung ist zur Hälfte Bestechung, deshalb ist ein kleiner Kanten trocken Brot in der Tasche immer eine gute Idee, wenn man will, dass ein Ochs herkommt oder stillhält.

Auf dem Hof tummelt sich hauptsächlich Original Allgäuer Braunvieh oder „Dachs“, hin und wieder auch eine Rarität wie ein Pinzgauer oder ein Weißgurt. „Die Rotgescheckten vertrag ich charakterlich nicht - oder sie mich nicht“, lacht Dietmar.


Schön und leicht und duftend

Warum es Heuhornochsen wurden und nicht einfach „handelsübliche“ Mastochsen, ist schnell erklärt: Die Hörner sind schön. Der Geruch von Silage zwickt in der Nase und die Fütterung mit Feuchtfutter ist harte Arbeit. Heu duftet, ist leicht und schmeckt den Tieren eh besser.

Dass die Heuhornochsen ein gutes Leben haben sollen, heißt nicht, dass sie nicht arbeiten müssen. Ein bis zwei Sommer lang gehen sie auf den Berg, das heißt sie werden auf der Alpe gesömmert. Dass die Alpen beschlagen werden, ist wichtig für die Region, die Tiere sorgen dort durch die Beweidung für Artenvielfalt, sie erhalten die Magerwiesen, einfach, indem sie den Aufwuchs von Sträuchern und Bäumen verhindern.

Für “faule” Viehzüchter ist ein Arrangement wie in Sigishofen ideal. Die Ochsen bleiben möglichst sieben Monate auf der Weide. In einem geschlossenen Stall bleiben sowieso nur die Kleinsten und nur abends und nachts. Am Anfang tut ihnen das gut, bis sie sich an die neue Umgebung gewöhnt haben. Dabei haben sie es nicht weit. Die Ochsen von Sigishofen wurden nur rund 15 Kilometer weiter südlich geboren. Nach zweieinhalb bis drei Jahren werden sie ebenfalls in der Region – keine fünf Kilometer weiter nördlich – zu Fleisch verarbeitet. Dass sie im Laufe ihres Lebens trotzdem ganz ordentlich Strecke machen, liegt daran, dass sie auf den Weiden eben gern mal aus Spaß herumheizen und sich wilde Rennen liefern.
 

Testosteron, nein danke

Apropos wild: Nur mal so zur Erinnerung: Ochsen sind Stiere ohne Testikel. Ohne Testosteron sind die Bürschchen friedlicher, lustiger, und sie setzen leichter Fett an. Grundsätzlich ist das gut, deshalb ist Ochsenfleisch marmorierter, zarter und feiner im Geschmack. In der konventionellen Mast kann es schnell passieren, dass sie zu fett werden, was wiederum die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht schätzen. Bei Heuhornochsen? Keine Gefahr! Die 650 bis 700 Kilo Gewicht, die sie auf die Waage bringen, bevor ein Metzgermeister sich ihrer annimmt – übrigens einzeln, in aller Ruhe und begleitet vom Lieblingsmenschen – sind durch bestes Futter und viel Bewegung entstanden; Figurprobleme kennen Sigishofener Ochsen nicht.

Entdecke dein Potenzial!

Nachdem ein Ochse geschlachtet und an die zehn Tage abgehangen ist, wird von erfahrener Hand das verwertbare Fleisch ausgelöst. Ohne Haut und Knochen bringt das Tier noch rund 350 Kilo sogenanntes Ausschlachtgewicht auf die Waage. Da sind dann unter vielem anderen Brust, Backe, Zunge und Filet dabei und etwa 50 Kilo Gulasch. Ein Gastro-Großabnehmer hätte zwar am liebsten immer das Zehnfache vom Gulaschfleisch, das geht halt leider nicht. Also nimmt er ganze Tiere und verwendet: einfach alles! Dafür kann er dann auch Ochsen-Leberkäs auf die Karte schreiben, kann ja nicht jeder.

Grundsätzlich wäre es gut, wenn man sich auf die Vielfalt besinnt, die im Allgäu nicht nur im Käse, sondern dadurch auch im Fleisch geboten ist. Rind ist zwar der Oberbegriff, aber die Vorstellungskraft muss ja nicht bei der Roulade aufhören. Kalb, Färse, Milchkuh – das sind alles völlig unterschiedliche Fleischarten mit ganz eigenen Aromen. Sofern es sich um Heu-gefütterte Tiere handelt, ist eine deutlich längere Reifezeit möglich, man erzielt so einen wesentlich besseren Geschmack. Und dann braucht es nicht mehr viel: Im Sommer ein Ochsensteak auf den Grill, eine Prise Salz, ein Hauch Pfeffer, fertig. Und im Winter wärmt nichts so gut wie eine klare Brühe, gekocht aus Ochsenschwanz oder Beinscheibe, Petersilwurzel, Sellerie und Zwiebel. Naht eine Erkältung, haut man einfach die doppelte Menge Pfeffer, ein Stück Ingwer und eine halbe Zitrone dazu – und schon sind die Lebensgeister wieder geweckt.
 

Gut essen, gut wirtschaften, besser schlafen

Man kann es drehen und wenden, wie man will – Das Fleisch von Heu-Horn-Ochsen ist einfach gut. Es schmeckt um Längen besser als solches, das von Tieren stammt, die in 20 Monaten auf Teufel komm raus mit Kraftfutter auf Schlachtgewicht gemästet werden. 
Es ist zudem eine Investition in die Zukunft der Region Es dient dem Strukturerhalt im Allgäu, und die Sigishofener Ochsen beweisen, dass Heu- und Weideviehhaltung ein wirtschaftlicher Nebenerwerb sein können – wirtschaftlich genug, damit bestehende Betriebe von den jüngeren Generationen weitergeführt werden wollen. Schließlich ist leicht eine Wirtschaft aufgehört, aus dem Nichts einen Betrieb aufbauen, gelingt ungleich schwerer!

Es ist ein gutes Ruhekissen, das gute Gewissen. Klar, um alle Zusammenhänge, alle Lieferketten und alle Abhängigkeiten der modernen Nahrungsmittelindustrie zu durchschauen, braucht es zuweilen fünf Doktortitel und einen Röntgenblick, aber manchmal ist es auch ganz einfach: Ein Heuhornochse hat keine Mast hinter sich, ein Allgäuer Weiderind musste nicht nach Spanien, gar übers Mittelmeer gekarrt werden, um Fleisch zu werden. Die örtlichen Verkaufsautomaten, die regionalen Metzgereien, die im Nebenerwerb produzierenden Höfe, die genossenschaftlich organisierten Sennereien – das alles sind sehr gute und verlässliche Adressen für Geschmack mit Gewissen.

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