Allgäu

24-Stunden-Wanderung

Text von Christian Keller

 

Wandern, bis die Sonne aufgeht.

Auf einer 24-Stunden-Wanderung durch die Hörnerdörfer

Eine 24-Stunden-Wanderung? Als ich zum ersten Mal davon hörte, konnte ich mir nur schwer vorstellen, selbst an so einer Tour teilzunehmen. Würde ich das durchhalten? Kann das überhaupt jemand durchhalten ohne Marathon- oder Iron-Man-Erfahrung?

Eine Strecke von knapp 70 km und 2.500 Höhenmeter, die durch alle 5 Hörnerdörfer führt – nicht gerade ein Spaziergang. Als die Veranstaltung näher rückte und ich das ein‘ oder andere Gespräch mit meinen Kollegen aus den Gästeinformationen der Hörnerdörfer geführt hatte, war klar, dass ich es ausprobieren möchte.

In der Nacht vor der Wanderung mischte sich zwar in die Vorfreude auch eine dezente Anspannung, aber am Morgen des 08. Juli ging es los. Zuerst zum Akkreditieren im Kurhaus Fiskina nach Fischen. Mit Startnummer und ein paar Sachen zur Stärkung im Rucksack startete ich gemeinsam mit einer großen Gruppe von Wander-Enthusiasten in den Zauber des neuen Tages.

Bei Sonnenstrahlen und milden Temperaturen ging es mit einem guten Tempo an der Iller entlang. Die Stimmung war hervorragend. Wir lachten und dachten schon an eine erste Kaffeepause. Bei Ofterschwang erreichten wir dann eine “Ladestation”, wo es Riegel, Obst und Getränke gab - nur auf den Kaffee mussten wir noch etwas warten.

Auf der Weltcup-Hütte, oberhalb von Ofterschwang, gab es dann eine wohltuende Stärkung bei herrlichem Bergblick.

Was ich ganz besonders genoss, war der Austausch mit den unterschiedlichen Leuten, die hier mitwanderten. Alle hatten ihre eigene Geschichte und Motivation für diese Wanderung. Bemerkenswert war, wie viele „Wiederholungstäter“ es gibt, die zum Langzeitwandern quer durch die Republik touren.

Am Ofterschwanger Horn, dem ersten Gipfel der Hörnerkette, nahmen wir Aufstellung für ein großes Gruppenfoto, ehe mit der Hörner-Panorama-Tour ein besonders reizvoller Abschnitt begann.

Neben den traumhaften Ausblicken war das Geläut der Kuhschellen unser ständiger Begleiter.

Vorbei am Rangiswanger Horn, dem vielleicht aussichtsreichsten Gipfel der Hörnerkette, stiegen wir im weiteren Verlauf ins Ostertal hinab, um dann, nach dem Anstieg zur Höllritzer Alpe, eine wohlverdienten Kaffeepause einzulegen.

Bei selbstgebackenem Kuchen kam man schnell in Kontakt mit den anderen Wanderern und tauschte sich über Bergerlebnisse und Wandererfahrungen aus.

Die Wolken waren nur ein Zwischenspiel, jetzt zeigte sich die Sonne wieder und wir konnten neben Energie und Koffein auch reichlich Vitamin D tanken.

Wir erreichten Balderschwang – seit 2022 meine neue Heimat. In Sichtweite zum Ort angekommen, scherzte ich, dass mir eine kurze Ruhepause zuhause auf der Couch gelegen käme. Aber ein Nickerchen war gar nicht nötig, denn der Zeitweg in Balderschwang wirkt wie eine erfrischende Pause.

Wir liefen einen Teil des Zeitweges – oder des „sich Zit‘ long“- Wegs, wie die Einheimischen ihn nennen, der auch an der alten Eibe vorbeiführt, dem vielleicht ältesten Baum Deutschlands. Von hier aus ist auch der „Höchste“ der Allgäuer Alpen – der Krottenkopf (2656m) – zu sehen. Sehr imposant, aber gottseidank dann doch kein Etappenziel für unsere Tour.

Am kleinen Ortzentrum von Balderschwang vorbei, stand unserem Abendessen nur noch ein Weidezaun im Wege, den wir gekonnt überstiegen.

Für mich und ein paar andere ging es dann erst mal in einen „Wassertrog“ vor der Hütte, um Füße und Waden zu entspannen.

Dankbar (und reichlich) bedienten wir uns anschließend vom Buffet, genossen das Alpenglühen der umliegenden Bergwelt und bereiteten uns auf die bevorstehende Dunkelheit vor. Das heißt, es wurden die Schuhe neu geschnürt und vorsorglich die Pullis übergezogen.

Mit einem ziemlich gefüllten Magen ging es in die Dämmerung hinein.

Wir stiegen ab, an der Alpe Lenzen vorbei, und dann weiter in Richtung Lochbachtal.

Zu diesem Zeitpunkt kam mir unser Vorhaben doch ein wenig verrückt vor, irgendwie konnte ich mir immer noch nicht so recht vorstellen, durch die Nacht „hindurchzuwandern“.

Ich wurde schweigsamer, auch die anderen Gespräche verstummten immer länger und hier und da machten sich erste körperliche Anzeichen bemerkbar.

Mein „Mantra“ lautete: Nicht auf die Uhr schauen! Einfach gehen und den Weg genießen. Ein bisschen Zwicken und Zwacken sollte es wert sein, diese doch ganz besondere Erfahrung mitzunehmen. Zugegeben, alleine hätte ich so eine 24-h-Wanderung wohl nie gemacht. Zusammen geht eben vieles besser.

Im Lochbachtal liefen wir dann einen geteerten Weg entlang, was gut war, denn es verlangt schon eine andere Konzentration in der Dunkelheit zu gehen. Auch, weil sich eine gewisse „Schlaftrunkenheit“ breit machte. Ein paar Mitwanderer und ich halfen uns mit Humor und alberten um die Wette.

Natürlich konnten wir unser Gehtempo von tagsüber nicht halten und wir pausierten immer mal wieder kurz. Nach und nach machte sich die Müdigkeit bemerkbar, es wurde frischer und der Weg herausfordernder. Ich war froh, als wir noch mal eine längere Rast einlegten.

Die allermeisten saßen auf dem Boden, einige hatten sich hingelegt, geredet wurde wenig. Ich saß da, schaute nach oben und betrachtete den Sternenhimmel: Ein Wahnsinn, also wahnsinnig schön. Wie gerne hätte ich jetzt die Zeit etwas angehalten.

Doch schließlich kam die Ansage vom Wanderführer, dass wir gleich wieder starten und jetzt ein steilerer Abschnitt beginnen würde. Darauf war ich nicht wirklich vorbereitet, aber ich sagte mir: Einfach gehen und den Weg genießen!

Es ging bei Oberstdorf den Jägersteig entlang, ein schmaler Wurzelpfad. Hier hieß es nochmal, mit voller Konzentration dabei zu sein – Schritt für Schritt.

Als wir aus dem Wald kamen, setzte die Morgendämmerung ein.

Ich sammelte nochmals die restlichen Kräfte und dann ging es durch Rubi und den letzten Anstieg an der Schöllanger Burgkirche vorbei.

Der Allgäuer Hauptkamm war schon klar zu sehen und die Sonne spitzelte hinter dem Rubihorn hervor – ein erhebender Anblick. Das war Balsam für die Seele und nochmal eine Extraportion Energie.

An der Iller warteten wir, bis alle wieder zusammengetroffen waren, um dann geschlossen an unserem Ausgangspunkt, der Fiskina in Fischen, durch die Ziellinie zu laufen. Hier wurden wir mit vielen Glückwünschen begrüßt und ein Frühstück stand schon bereit. Wir ließen es uns, bei aufgehender Sonne im schönen Kurpark vor der Fiskina, schmecken und feierten (nicht gerade eine wilde Party, dafür waren wir doch zu geschafft) gemeinsam dieses besondere Erlebnis. Als krönenden Abschluss erhielten wir unsere Urkunden bei der Siegerehrung, bevor wir müde, aber stolz in den frischen Tag „entlassen“ wurden.

24 Stunden können schnell vergehen, 24 Stunden können herausfordernd und auch anstrengend sein. Für mich waren diese 24 Stunden zu Fuß durch die Hörnerdörfer eine ganz besondere Erfahrung. Und mit jedem Schritt ist mir meine neue Allgäuer Heimat etwas mehr ans Herz gewachsen.

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